Politisches und Persönliches zu Mobilität und Verkehrswende

„Und alles bleibt anders“ - Winfried Hermann zu Gast bei Hermino Katzenstein

16.11.20 –

Ein Glas Sekt-Orange hält Landtagsabgeordneter Hermino Katzenstein in die Höhe. Mit seinem Gast, dem Landesverkehrsminister Winfried Hermann, und weiteren Gästen hätte er gern bei der ursprünglich in Sinsheim geplanten Lesung angestoßen. Doch auch im Online-Format gerät die Matinee anregend. 

Winfried (Winne) Hermann verrät, dass er schon lange ein Buch über die Verkehrswende schreiben wollte. Mit Corona lichtete sich sein Terminkalender auf einen Schlag. Zeitgleich kam der kleine Verlag Molino aus Schwäbisch-Hall auf ihn zu und interessierte sich für seinen Werdegang. Der Minister nutzte die Gelegenheit – und ein halbes Jahr lang jede freie Minute – und verknüpfte allgemeine Betrachtungen zu Verkehrsentwicklung und -politik mit seiner Lebensgeschichte zu einer lebendigen, persönlichen und unterhaltsamen Erzählung. 

„Und alles bleibt anders: Meine kleine Geschichte der Mobilität.“ 

Was es mit dem Titel „Und alles bleibt anders“ auf sich hat, will Hermino Katzenstein, der an die Teilnehmenden fünf signierte Bücher verlost, wissen.

„Ich bin aufgewachsen in einer Verkehrswende und jetzt erleben wir wieder eine Verkehrswende“, stellt Winne Hermann fest und ergänzt: „Dass wir anders sind, eine andere Politik machen, das spielt da auch mit rein.“

In den zwölf Kapiteln geht es neben dem Automobil um die Bahn, das Fahrrad und das Zu-Fuß-Gehen ("Der intelligente Mensch läuft"), um politische Skandale (Maut, Tempolimit, Abgasmanipulation) und um Stuttgart 21 – und natürlich auch um Stationen seines politischen Lebens: den Weg vom Landtagsabgeordneten ab 1984 bis zum Verkehrsminister. 

Wohnen ist Omen, sagt Winne Hermann. Er wurde 1952 in der „Güterbahnhofstraße“ in Rottenburg am Neckar geboren. Damals hatte noch jeder Ort einen Güterbahnhof, die meisten Waren wurden über die Schiene transportiert. Gütertransport auf der Straße sei lange staatlich reglementiert und genehmigungspflichtig gewesen.

Das Verhältnis Schiene-Straße habe sich während seiner Lebenszeit komplett rumgedreht. Die Bahn wurde als Kostenfaktor gesehen, während Ausgaben für die Straße als Investition galten. Die Güterwagen sind heute noch auf dem technischen Stand des 19. Jahrhunderts. Erst jetzt wurde die automatische Kuppelung auch für Güterzüge eingeführt. 

Güter sollten auf kurzen Strecken vermehrt mit Lkw, auf langen Strecken über die Schiene oder mit dem Binnenschiff transportiert werden. Verteilzentren wie in Kornwestheim, wo bisher noch der „Hemmschuh“ zum Rangieren verwendet wird, werden hierfür fit gemacht. Ein großes Potenzial sieht der Minister auch in der Elektrifizierung großer Teile des Autobahnnetzes (Oberleitungen für Elektro-Lkw) nach dem Motto: „Die Straße ist die neue Schiene“. 

Hermino Katzenstein spricht das Thema Lärm an. Ja, kreischende Güterwagons sollen – auch zugunsten der Anwohner-Nerven – der Vergangenheit angehören, ist er sich mit dem Minister einig. Und wie ist eigentlich der Stand bei der Reaktivierung der Krebsbachtalbahn? Zwar hält sich das Fahrgastpotenzial an der Strecke in Grenzen, dennoch misst der Minister ihr Chancen bei. Zumal die Strecke bereits existiert und sogar teilweise befahren wird. 

Am Potenzial hapert es bei der Rheintalbahn in der dicht besiedelten Rheinebene ganz sicher nicht. Der Beschluss zum Ausbau als Verlängerung der wichtigen Alpen-Transversale reicht in den 80er Jahre zurück. Im Konsens mit Bahn, Bund und Bürgerinitiativen wurde die Trasse für das 3. und 4. Gleis zuletzt an die Autobahn verlegt. Jetzt geht es aber erst in die Planung…

Im Kapitel „Die Schwaben und ihr Auto“ erzählt Winne Hermann von seinem ersten Auto („mein Weltkugeltaunus“) und wie sich das Freiheitsgefühl mit der nicht nur in Schwaben wachsenden Zahl der fahrbaren Sitzplätze und der zunehmenden Staus in sein Gegenteil verkehrte. Und so hatte er dann als Student auch ein Fahrrad mit dem Aufkleber: „Fahrräder sind leise und stinken nicht.“

Er zitiert aus ‚Lob des Fahrrads‘ von Marc Augé: „Radfahrer sind die neuen Flaneure, mit der Nase im Wind erfreuen sie sich am Duft der Kastanienbäume.“ 

Das Gefühl von Freiheit auf zwei Reifen durfte Hermino Katzenstein in seiner Heimatstadt Münster schon früh erleben. Die Begeisterung am Radfahren im Alltag zu fördern ist Ziel der Initiative RadKULTUR des Verkehrsministeriums. 

Der Abgeordnete lenkt den Blick auf die Regiobuslinien, die auch in seinem Wahlkreis Mittelzentren an die Schiene anbinden. Auf den Einwand „Busse stehen auch im Stau“ erwidert er, man wolle für sie möglichst eigene Spuren einrichten.

Hierfür werde aktuell das Straßengesetz geändert, so dass die Teileinziehung einer Straße zum Beispiel für den Umweltverbund jetzt einfacher wird. Wie bei der geplanten Radspur zwischen Heidelberg und Neckargemünd, deren Realisierung wohl noch bis Frühjahr auf sich warten lässt. 

Im Chat gibt es konkrete Fragen, etwa zu Schrankenschließzeiten oder dem Reallabor für nachhaltige Mobilität, aber vor allem viel Zustimmung und positives Feedback. So schreibt Jemand: „I have a dream: Winfried Hermann als Bundesverkehrsminister!“